chez del - hat star wars iii gesehen
Donnerstag, 13. März 2003
13. März 2003 um 00:17:22 MEZh

na dann, prost

Film und seine theoretischen Zugangsmöglichkeiten sind ein ähnlich weit verzweigtes Thema wie „Kommunikation“, oder besser: „Wein“. Wein ist ein menschliches Produkt, es gibt ihn in der Natur nicht; er ist entweder farbig oder (schwarz-)weiß; man trinkt ihn alleine oder teilt ihn mit anderen; unter dem Einfluss von Wein nimmt man die Wirklichkeit anders wahr; es gibt viele verschiedene Anbaumethoden, Produzenten und Sorten; jeder kann einen guten von einem schlechten Wein unterscheiden, denn (fast) jeder hat Geschmacksknospen. Dennoch gibt es selbsternannte Experten, die erklären, welcher Wein es wert ist, getrunken zu werden, welchen Wein man zelebrieren sollte, und von welchem Wein man besser die Finger lassen sollte. Seltsamer weise sind sich diese Experten nie ganz einig, und es gibt immer einen, der es besser weiß. Besser ist ein Wein übrigens meistens dann, wenn er älter ist. Aber auch das ist eine Frage des Geschmacks. Der Grund für die Unentschiedenheit der professionellen Weintrinker ist, dass sie verschiedene Herangehensweisen an ihr Objekt haben, verschiedene Denkschulen und Kostsysteme. Bestimmt existiert eine erkleckliche Anzahl Bücher, deren Autoren von sich behaupten, dass sie und nur sie wissen, wie man Wein richtig bewertet. Das ist bestimmt unterhaltsam.

Ähnliches gilt für den Film. Der große Unterschied ist, dass dem Film im Allgemeinen eine viel größere Macht und Rolle und Verantwortung und Aussagekraft in der/für die/über die Gesellschaft zugestanden wird als dem Wein. Das liegt wohl daran, dass sich der Inhalt eines Films nicht auf chemische Zusammensetzungen und die Anzahl der Sonnentage begrenzen lässt. Film spricht viel mehr Sinne an als Wein, mit Ausnahme des Geschmackssinns. Er ist ein audiovisuelles Produkt, das die Sinne des Zusehers für eine beträchtliche Zeit in den Bann schlägt. Dass dabei das Hirn ausgeschaltet wird ist eher ein geflügeltes Wort. Der Entstehungsprozess, die Verarbeitung, der Konsum und die Spuren, die ein Wein hinterlässt, sind gesellschaftlich nicht so interessant und diskutabel wie die eines Filmes, und das trotz des Spruchs „In vino veritas“. Das ist das Stichwort: In einem Film steckt viel Wahrheit, und gleichzeitig das Gegenteil davon, oder/und beides zugleich, und/oder nichts von beidem. Ein Film entführt seine Zuseher in eine immaterielle Welt, die der tatsächlichen oft bis zum Verwechseln ähnlich erschein. Die Krux bei der Sache ist, dass ein Film oft umso künstlicher ist, je realistischer er wirkt. Zu diesen elementaren Stichworten – künstlich, realistisch, wirken – später mehr.

Zunächst muss festgehalten werden: Selbsternannte Film-Experten sind auf der Suche nach der Wahrheit des Films, nach der Wahrheit im Film, nach der Wahrheit für den Film, nach der Wahrheit vor dem Film, nach der Wahrheit der Wahrheit des Films, nach den Filmen der Wahrheit, etc. Das Problem ist: Was für den einen wahrhaft Sinn macht, ist für den nächsten wahrhaft Schwachsinn, und der dritte lässt all diese Begriffe links liegen und baut sich seine eigene Theorie mit Hilfe von Hypothesen , um dem Film aus einer anderen Perspektive auf die Schliche zu kommen. Richtig oder falsch ist keine dieser Theorien, sondern lediglich gut oder schlecht argumentiert. Diese Auffassung vertreten Thomas Elsaesser und Warren Buckland in der Einleitung ihrer 2002 erschienen Standardwerks „Studying Contemporary American Film. A Guide To Movie Analysis.“ Sie greifen darin zurück auf Aristoteles zurück, der in „Die Kunst der Rhetorik“ drei Schritte anführte, mit der schlüssige Argumente präsentiert werden sollten: Inventio (Entdeckung), dispositio (Gliederung) und elocutio (Ausführung). Damit machen Elsaesser und Buckland deutlich, dass die Analyse eines Films (und zwar nicht nur eines zeitgemäßen amerikanischen) eine Frage der schlüssigen Argumentation von Sichtweisen und Annahmen über das Kulturphänomen Film ist. Das Hauptziel der Filmanalyse ist demnach die Beantwortung der Frage, wie ein Film oder ein Filmelement unter gewissen Bedingungen welche Bedeutung und Sinn generiert bzw. generieren kann und was das wiederum bedeutet.

Im Rahmen meiner Diplomprüfung wird es unmöglich sein, jede dieser Bedeutungsebenen, Blickwinkel und Argumentationslinien aufzugreifen. Ich musste auf eine Fülle von Ideen und Theorien verzichten müssen, so zum Beispiel: Die feministische Filmtheorie, die psychoanalytische Filmtheorie, die strukturalistische und post-strukturalistische Filmtheorie , die quantitativ analysierende Filmtheorie, die philosophische Filmtheorie, die Apparatus-Theorie.

Eines der Hauptargumentationsfelder im Laufe der Filmgeschichte jedoch ist die Frage, ob ein Film die Wirklichkeit abbildet, und wenn ja: inwieweit, inwiefern, für wen? Noch in den 1930er Jahren war es Mainstream, den Realismus des Films als Spiegel der gesellschaftlich-historischen Wirklichkeit aufzufassen. Siegfried Kracauer hat in seiner Pionier-Theorie des Films dem Film noch das Potential zugestanden, die „äußere Wirklichkeit zu erretten“. Eine aus heutigen Blickwinkeln unhaltbarer Traum. Ähnlich naiv sind die Realismus-Ansätze des Ungarn Georg Lukács. Bereits in den 40er- und 50er Jahren war es jedoch vor allem der französische Kritiker und Theoretiker André Bazin, der die Debatte rund um den Realismus des Films über Jahrzehnte in Schwung brachte. Leider ist seine essentielle Aufsatzsammlung „Was ist Kino“ in der Universitätsbibliothek nicht aufzutreiben. Zum Glück gibt es eine Dissertation aus dem Jahr 1985 von einem gewissen Ortwin Thal aus Dortmund, die ich im rahmen meiner Recherchen für die Diplomprüfung in der FB für Germanistik fand: „Realismus und Fiktion“. Bereits in der Einleitung findet sich ein für die damalige Zeit meiner Meinung nach bemerkenswerte Abschnitt: „Das fiktionale Werk ist demnach weniger ein Bild der Wirklichkeit als vielmehr ein Medium der Reaktion und Aktion. Es greift in die bestände der Realität ein, reagiert auf bereits etablierte Sinnsysteme und registriert deren Widersprüche, Ausblendungen und Negationen [...] Wie gebannt blicken die großen Theoretiker des realistischen Films auf die fotomechanische Authentizität des filmischen Bildes. Dieser ‚Authentizitätsmythos geisterte schließlich durch die meisten Realismustheorien, die allesamt die technisch-visuellen Eigenschaften des Mediums überschätzten.“ (Thal 1985, S. 10) Nach einem Vergleich zwischen Adorno und Lukács und einer Ohrfeige für Kracauer feiert Thal die Realismuskonzeption Bazins als Theorie, welche die notwendige Verknappung, Künstlichkeit und Überhöhung des Films nie aus dem Auge ließ und dennoch vom perfekten realistischen Film träumte.

Ausgehend von Bazin als klassische, aber raffinierte Realismustheorie habe ich in diesem Themenbereich einige zeitgenössische Texte aufgenommen. Gregory Currie vertritt in seinem Beitrag („Film, Reality, and Illusion“) die Meinung, dass der filmische Realismus sehr aussagekräftig ist, selbst wenn viele Bereiche der Realität ausgeklammert werden. Diese kurzsichtige und vor allem gegen die psychoanalytisch generalisierende Theorie gerichtete Auffassung habe ich vor allem deswegen in meine Literaturliste aufgenommen, um einen Kontrast zu bazin herzustellen und zu zeigen, dass ältere Weine tatsächlich oft besser sind.

Sibylle Bolik („Die Illusionsfalle“) und Gerhard Lampe („Continuity-Editing“) gehen in ihren Texten den Ursachen dafür nach, warum Filme eigentlich den Eindruck unmittelbar abgebildeter Realität erwecken: Für den typischen Anschein des Realen (=Realismus) machen verschiedene Formen der audiovisuellen (Re-)Präsentation nur graduelle Unterschiede aus. Ob live oder vorproduziert, ob vom Sender arrangiert oder ‚nur‘ reproduziert, ob im Studio oder auf der Straße angesiedelt, ob fiktiv oder berichtend: Es entsteht immer eine Kontinuität, ein Bildfluss. Durch diese (scheinhafte) Kontinuität des audiovisuellen Bildes werden wir nicht direkt mit Welt, sondern mit bestimmten kognitiven Mustern unserer medial konstruierten Kultur konfrontiert. Nora Abdel Rahman schließlich schließt mit ihrer Online-Publikation in dem einflussreichen magazin „Nach dem Film“ (www.nachdemfilm.de) den kreis zu Bazin. In „Larger Than Life oder: Wie real ist das Kino?“ kommt sie zu dem Schluss, dass die Kino-Realitäten des Jahres 2000 nicht, wie von Bazin erhofft, von der Realität selbst erzeugt werden. Vielmehr versuchen sie sich ständig selbst zu übertrumpfen, zum Beispiel durch bombastischen Surround-Sound.

Da ich in meiner Diplomarbeit ein eigenes Sub-Genre konzipiert habe – jenes des Virtual-Reality-Films – ist es meiner Ansicht nach sinnvoll, mit zwei Texten auf die Genretheorie einzugehen. Die Fragestellungen in dieser Hinsicht gehen in die Richtung, welche Aussagekraft Genres haben, wie sie zustande kommen, wie sie sich entwickeln, wie Sub-Genres entstehen, wozu Genres wissenschaftlich dienen können und wo die Gefahren liegen. Während Steve Neale („Questions of Genre“) eher allgemein und abstrakt bleibt, beschreibt Vivian Sobchack („Screening Space – The American Science Fiction Film“) die Entstehung und Wandlung des amerikanischen Science-Fiction-Films sehr detailliert und anregend.

Zu guter Letzt: Die Postmoderne. Auch in der Filmtheorie wird dieser Begriff verwendet, um die diffuse Entwicklung der Gesellschaft und des Mediums fassen zu können. In meinem Verständnis und dem der meisten US-amerikanischen Kulturtheoretiker steht die Sammelbegriff Postmoderne jedoch für eine konkrete Epoche, oder genauer: Für einen Zeitgeist, der sich in Kulturproduktionen wiederfindet, die wiederum gewisse Produktionsumstände vorfinden. Die Postmoderne hat dabei nichts Revolutionäres an sich, sie kommt nicht „nach“ der Moderne; es handelt sich eigentlich um eine Fortführung der Moderne, deren Schwerpunkte übersteigert, verlagert, pervertiert und/oder neu besetzt werden. Insofern würde „Plusmoderne“ besser passen. Diese Neubesetzung im Kontext der technischen Weiterentwicklung von Film hat zur Folge, dass die klassischen bzw. antiken Konzepte der Narration zwar nach wie vor gelten, jedoch spezielle Schwerpunkte und Trends aufweisen. Für Jürgen Felix sind unter anderem die immer wieder auftauchende Ironie, der Hang bzw. Zwang zum Zitat und das Spiel mit der Medienkompetenz des Zusehers elementare Bestandteile der „Die Postmoderne im Kino“. Die bereits vorgekommenen Thomas Elsaesser und Warren Buckland demonstrieren schließlich an Hand von „Die Hard“, dass Kino heute sowohl aus einer klassischen, als auch aus einer post-klassischen, sprich: postmodernen Perspektive gesehen, theoretisiert und analysiert werden können.

Und jetzt: Ein Glas Rotwein und Hannibal Lecter – natürlich aus der Sicht feministischer Filmtheorie.

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