chez del - hat star wars iii gesehen |
Sonntag, 7. April 2002
7. April 2002 um 21:48:44 MESZh
schaedelweh hatte folgendes mitzuteilen globus
kluges fabulieren der weißhaarige deutsche (medien-)intellektuelle alexander kluge sprach im volkstheater über "globalisierung und gewalt- perspektiven nach dem 11. september". antike begriffe wie aufklärung, identität und utopie wurden aus dem goldenen schatz/mottenkistchen der prä-zynischen phase geholt und in metaphern eingebettet. da geriet einer ins schwärmen:
„Wenn so etwas passiert wie wir es am 11. 9. verfolgen konnten, das sind Änderungen der Maßverhältnisse. Menschen sind, um etwas als wirklich zu erachten, um sich zu orientieren, in ihrem persönlichen Leben und im Gemeinwesen, darauf angewiesen, dass Maßverhältnisse gültig sind über längere Zeiträume. Weil die subjektive Seite, wo wir unser Gefühl hegen, ist langsam, und niemals synchron mit den objektiven Ereignissen. Manchmal kommen nach zehn, zwanzig Jahren die inneren Reaktionen auf etwas, das äußerlich passiert ist. [...] Das sind dann Dinge, die im Gefühl wiedererlebt werden. Wir sind darin erfahrungstechnische Wiederkäuer, sehr geduldige Menschen, weil unsere Gefühle sind geduldig. Sie brauchen Bücher, um zu navigieren, um sich zurechtzufinden. Und die Maßverhältnisse an der Schwelle zum 21. Jahrhundert ändern sich zum Teil radikal. Da wird zum Beispiel in Palästina, wo offenkundig Krieg herrscht, nicht von Krieg gesprochen, während andererseits der US-Präsident einfach kraft Wahl in Florida einen Krieg erklärt, aber er sagt nicht, gegen wen genau. [...] Das sind alles Dinge, die mich zunächst einmal verwirren.“
„Ich möchte zur Gewalt etwas sagen: Wie Gewalt ist gegenüber den Twin Towers, das wissen wir. Aber es gibt auch eine andere Form der Gewalt, die auf Nichtachtung beruht, auf Ausgrenzung beruht. Das ist Kampf Lebenswelt gegen Systemwelt, und der beruht auf Ausgrenzung. Und unser Europa ist in der Gefahr, an seinen Außengrenzen hier zum Verbrecher zu werden, wenn man alle Menschen ausgrenzt, die nicht zu uns hineindürfen. Und hier, in der Gleichgültigkeit, die alles töten kann: Da liegen die Wurzeln für Widersprüche in unserer Gesellschaft, auch für Verzweiflungstaten, auch für zunehmende Abstraktheit von Regierungsmaßnahmen, und von Terroristen und von Fundamentalismus. [...] Es ist nicht nur die aktive Gewalt das Wesentliche, sondern das Wegsehen, die Unterlassung, die Ausgrenzung. Und dabei wiederum die absichtslose Ausgrenzung. Und ich setze das bewusst parallel zu dem, dass wir im Grunde auch an Großzügigkeit reicher sind, als wir meinen. Wir sind fahrbare, gehfähige, sogar zum aufrechten Gang fähige Schatztruhen, und wir haben diesen verbrecherischen Hang, auszugrenzen, unser Glück auf Kosten anderer zu suchen."
„Ich halte bewusst ein Plädoyer für die Ware, denn die Ware ist ein Menschenprodukt. Es ist eine Intelligenzrichtung. Alles in der Welt fällt zurück auf Menschen samt ihrer Trägheit, ihrer Irrtumsfähigkeit, ihrer Ermüdungsfähigkeit, und damit auf Normalität, auf Menschlichkeit fällt es zurück. Daran scheitern Revolutionen, aber auch Exzesse, aber auch jede Abstraktion und jeder Krieg ermüdet an der Realität von Menschen. Und auf der anderen Seite das selbe bei den Sachen, bei den Dingen: Die haben eine eigentümliche eigene Intelligenz. Das ist nicht A.I., die die Menschen nachahmt, aber die Waren der Gesellschaften haben ebenfalls eine in ihnen wohnende Intelligenz, eine Art Geist. In jedem wertvollen Objekt steckt ein Gedanke von Menschen, der da hineingelegt worden ist. Denn die Menschen produzieren diese Illusion, dass die Dinge einen Wert haben [im ggstz. zur Brauchbarkeit]. Und das muss man im Auge behalten, wenn man nach Auswegen sucht. Ich gehe davon aus, dass es die Auswege unabsichtlich gibt, dass wir sie nicht vorher wissen, dass sie dennoch permanent vorhanden sind. Das ist nicht irgendein willkürlicher Optimismus, sondern eine Erfahrungstatsache.“
„Odysseus – nach zwanzig Jahren Irrfahrt – kommt sehr vorsichtig, verkleidet, unter dem Schutz einer Göttin, nach Ithaka. Das ist Gegenstand des Buches „Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer/Adorno, wenn Sie so wollen eine Art Bibel für mich: Das Projekt der Aufklärung, an der ich nach wie vor hänge, ist belastet mit einer Dialektik, und die wird in einem Bild dargestellt, nämlich dem Odysseus, der sich selber an den Mastbaum fesselt, den Gefährten verstopft er die Ohren, und er kann den Gesängen der Sirene, die ihn anziehen, nicht folgen. Also der selbst sich fesselnde Mensch. Und eine Aufklärung, die auf Fesselung beruht hat in sich einen Zwiespalt. Niemals kann der ganze Mensch dann als aufgeklärter Mensch reagieren.“
„Ich versuche nun dafür andere Bilder aus Homer heraus zu entwickeln: Odysseus will in sein Bett. Das hat er, als er ein junger Mann war, aus einem lebendigen Olivenbaum gehauen. Dieses Bett ist unverrückbar. Kein Usurpator von den Freiern hätte das verrücken können. Aber die Rahmenbedingungen rund um das Bett haben sich verändert. Völlig. Aber er weiß noch, dass es ein unverrückbares Bett ist. Das ist das, was man unter Menschen eine Identität nennt. Es gibt irgendetwas, was für Menschen unverrückbar ist. Danach muss man suchen. Und wer Glück hat, der findet so etwas, weil er es früher hergestellt hat, oder Vorfahren von ihm es hergestellt haben mögen. Und diese Seite kommt ohne Selbstfesselung aus. Und die Zugkraft eines solchen gleichbleibend Unverrückbaren – das muss kein Bett sein – das zieht ihn von Troja sicher an Land, durch alle Stürme hindurch, und kein Neptun kann dagegen an, dass er diese Sehnsucht hat. Das ist die wahre Gestalt der Sehnsucht, so muss man das lesen. Wenn man diese auch auf Illusion, auch auf vorangegangene Arbeit gegründete Sehnsucht ernst nimmt, hat man einen anderen Zugang zum Begriff der Aufklärung. Dann ist das nicht Rechnen, dann ist das nicht eine Sammlung von Tugenden, sondern eine Sammlung von wirklichen, entscheidenden Motiven. Und wenn ich mit der Heftigkeit des Othello hier wieder zu meiner Identität zurückwill, nach Hause will, zur Heimkehr will, dann bin ich ein Friedensschließer. Und das kann jeder Mensch in sich nachprüfen: Wo liegt meine Identität. Und die Summe aller Identitäten ist das einzige Gegenrezept, das ich weiß, gegen die verrücktwerdenden Obrigkeiten.“
„Ich wüsste nicht, wie man als Autor fertig werden sollte mit dem Ereignis [11. September] selbst, wo wir gerade in der Phase sind, dass wir im Spiegel die Chronologie wenigstend, die Minutenfolge, wiedergeben können. Aber dass sich da ein Autor heranmacht, der sagt, ‚ich bin stark genug, das zu beschreiben’, das weiß ich nicht, ob er das kann. Trojas Untergang kann ich beschreiben. Ich glaube, es gibt einen Anti-Realismus des Gefühls. Gegen etwas Unmenschliches wehrt sich das Gefühl, es wahrzunehmen. Es fängt sofort an zu ‚schwindeln’, eine andere Geschichte zu erzählen, auszuweichen. Das ist eine Funktionsweise der Phantasie, ich halte das für menschlich, halte es auch für sehr wichtig, dass wir so geschützt sind gegen überstarke unmenschliche Eindrücke. [...] 30 Jahre später kommen die Gefühle bei mir an im Bewusstsein. Im Moment habe ich eigentlich ein zerstückeltes Bewusstsein. Ich glaube, dass es allen Menschen so geht. Und dass es für Menschen spricht, dass sie keine Wahrheitsabbilder sind, sondern Illusionsfabrikanten.“
„Die Mühe müssen wir uns machen: Wenn wir sagen, dass wir Aufklärung lieben, wenn wir für unsere Kinder etwas tun wollen, wenn wir ein Erbe übergeben wollen, ein Gemeinwesen haben wollen, das funktioniert über die Zeit hin, dann müssen wir so geduldig arbeiten. Und ich kenne nur Bücher, die das wirklich tun. Denn auch große Firmen gehen eher in die Insolvenz, als dass sie langfristig an dem Selben arbeiten.“
„Wir sind ja hier im Theater, also können wir ruhig dem Affen ein bisschen Zucker geben, das heißt das utopische Element ein bisschen strapazieren. Denn ohne den Möglichkeitssinn kann man nicht angeben, wie Aufklärung gehen soll. Sonst heißt es immer sofort: Das ist einmal im 18. Jahrhundert schief gegangen, Kaiser Josef II. hat den Rest dazu durch seine Begräbnisordnung hinzugefügt, ja, und jetzt lassen wir’s. Das kann’s nicht sein. Weil dann würden wir immer von Unglück zu Unglück, von kollektiver Katastrophe zu kollektiver Katastrophe dahineilen. Das ist eigentlich dem Erbe, das wir in uns tragen, unwürdig.“
„Kleist reitet nach Frankreich und hat im Gepäck Kants gesammelte Werke und sagt: Wenn er Soldat der französischen Revolution, der ja den Weltgeist verkörpert, auch geistig ausgebildet werden könnte, Kant verstehen könnte, hätten wir den europäischen Soldaten. Er will zu den Gewehrleuten die Theorie bringen. Natürlich wird er sofort verhaftet. [...] Die napoleonische Armee ist besinnungslos nach Moskau gerannt und im russischen Schnee umgekommen, weil sie Immanuel Kant nicht gelesen hat. Was Kleist hier will wirkt auf den ersten Blick verblüffend, vielleicht ein wenig naiv, ist aber konkret. Eine Summierung solcher direkten Handlungen, die aus dem Impuls, aus der Leidenschaft, aus dem Gefühl gefüttert sind, würden von Menschen ausgehend eine unbezwingbare Kraft haben. Das kann ich nur hier im Theater so sagen, im Parlament würde ich mich da vorsichtiger ausdrücken. Aber dass man so etwas mal ins Auge fasst an einem Vormittag halte ich für sehr wichtig und lohnend, denn es gibt nur diese Bedingung für Veränderung von Verhältnissen. Sonst kommt es nur zur Wiederholung von Ereignissen durch analoge Ereignisse. [...] Das gilt nicht für den Faschismus alleine, das gilt nicht für den Gaskrieg von Verdun, das gilt nicht nur für Auschwitz, das gilt nicht nur für die Twin Towers alleine, das gilt nicht für die Zerschießung der zwei Buddha-Statuen, sondern es gilt generell als eine Grundströmung unserer Gesellschaft: Sie meint es mit den Menschen nicht gut. Und dies ist eigentlich ein Kampf zwischen Systemwelt und Lebenswelt, eine Gelegenheit zur Parteilichkeit.“
„Es steht ja in der Bibel, dass die Sprachverwirrung ausgelöst wird durch den Wunsch, eine Sprache zu haben. Ein Coca-Cola. Eine Marktwirtschaft. Und eine Computersprache. Und das führt zur Sprachverwirrung, nicht die Besonderheiten. Zum Beispiel: Die verschiedenen Ethnien in New York sprechen ja alle ihre Sprache, und dennoch ist für mich New York eine der kommunikativsten Städte, und die Fernsehglocke über New York habe ich immer bewundert, die geht in allen Sprachen. Das führt nicht zur Verwirrung, sondern der Versuch, eine Einheitssprache zu entwickeln, eine Planwirtschaft. Da setzt sich der Eigensinn des Menschen zur Wehr, wird aggressiv. Und einen aggressiven Eigensinn kann kein Mensch in der Welt umgehen, das kann auch keiner kommandieren. Was ist Aufklärung nach lant? Der Ausgang des Menschen aus der verschuldeten Unmündigkeit. Ich finde er kann nicht gegen seine Irrtumsfähigkeit an, er kann nicht gegen seine Trägheit an. Wenn Sie an Ihre Kinder denken. Gerade wenn Sie gut zu ihnen sind, wenn Sie sie beschützen, werden die besonders faul in der Schule. Ich kann aber nicht grausam werden, Zuchtmaßnahmen durchziehen. Es gibt also objektive Grenzen, sich nach einer abstrakten Vernunft zu verhalten. Und ich finde es gut, dass es die gibt. Wir müssen durch die Irrtümer hindurch den Begriff der Aufklärung entwickelt, durch die Dialektik der Aufklärung hindurch 2002 eine Enzyklopädie schreiben, und zwar in allen besonderen Sprachen der Welt. [...] Jede gibt eine andere Perspektive, ein anderes Licht, und dann erst wird ein Gedanke wahr und abgeschliffen wie ein Kieselstein. Das ist im Grunde die Materie, mit der man umgehen kann und Gemeinwesen gründen kann. Irrtum produktiv machen, um andere zu vermeiden. Hinter/in jedem Irrtum steckt ein Grund.“
„Ich bin der Meinung, dass Schriftsteller nicht Wahrsager sind, nicht Wissenschaftler sind, nicht Anführer von Weltverhältnissen sind, sondern Metaphernfabrikanten. Sie entscheiden selber nicht, ob eine Metapher stimmig ist oder nicht: Das entscheiden die Leser. Und von da her sind sie eigentlich wie Blinde tätig. Und das Lieblingsbild in meinem Buch ist ein Lastwagenfahrer, der seit neun Monaten blind einen Lastwagen fährt, und neben ihm sitzt sein neun Jahre alter Sohn und sagt ihm den Weg. Das ist ein Vertrauensverhältnis. [...] Je unwahrscheinlicher, je sicherer sind die Aushilfen, die im Menschen versteckt sind. Und im menschlichen Ohr ist ein Sinn für Vertrauensverhältnisse, für Nuancen erhalten. Ein menschliches Auge, das weiß man aus dem Kino, kann zwischen 16 und 24 Unterschiede pro Sekunde vielleicht sehen. Dann verschwimmt es und wird Film. Obwohl es die Hälfte der Zeit im Kino dunkel ist und nichts zu sehen ist sieht man ein kontinuierliches Bild. Das Ohr kann 500 unterschiede in der Sekunde unterscheiden, und das gibt dem Menschen die Intelligenzform der Musik, die jeden Besucher von Sirius erstaunen würde, und die eigentlich eine tröstende Reserve enthält. Ein notwendiges falsches Bewusstsein. Ich brauche es zum Trost, mache mir was vor. Besser wäre, ich nähme die Wirklichkeit wahr und hörte dazu Musik. Also Abendschau mit Musik wäre die neue Form der Oper.“ Beinahe kitschig, nicht, dieser konservative utopische marxismus?
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