chez del - hat star wars iii gesehen
Mittwoch, 15. Januar 2003
15. Januar 2003 um 19:11:35 MEZh

pruefung.txt 01

Ein sehr spannender Text (aus diesem Buch aus dem Jahr 1995): "Über Ausbrüche und Einschlüsse. Bemerkungen über Illusion und Wirklichkeit" von Florian Rötzer (mehr hier).

Rötzer hält darin, wenn ich ihn richtig verstehe, ein kleines Plädoyer für die Illusion. Er geht nicht auf alle möglichen plausiblen Ängste vor möglichen Manipulation ein, sondern weist auf die Funktion der Illusionen hin. Diese sind für Rötzer mehr oder weniger irrationale, traumähnlich übersteigerte oder surrealistische Formen der Wirklichkeit, durch die man aber laut Rötzer einen wichtigen Eindruck von der Wirklichkeit gewinnten kann. Illusionen stabilisieren Individuen und Gesellschaften, sie sind wichtige Rand-Erscheinungen.

Wie Träume. Die Funktion des Träumens ist laut Rötzer noch nicht restlos geklärt, es gibt verschiedene Hypothesen. Eine davon besagt, dass Träume vielleicht keine "Türen in eine andere Welt, sondern Bestätigungsmechanismen [sind], mit denen das Gehirn seine Erinnerungen und Verhaltensprogramme mit aktuellen Erfahrungen zusammenschweißt. [...] Man entfernt sich also nicht von der Wirklichkeit durch Illusionen, man stanzt der Art, wie man an sie gebunden ist, wie man sich zu ihr verhält, in das GEhirn ein. So wären dann die Künstler, Zauberer, Magiere und Unterhaltungsspezialisten die eigentlichen Bewahrer der Wirklichkeit, und die MEnschen, die träumen oder sich im Wachbewusstsein Illusionen aussetzen, flüchten sich nicht vor der Wirklichkeit, sie bestätigen vielmehr das einmal in Gang gesetzte Konzept von ihr".

Dieser Sinn von Traum und Illusion wird laut Rötzer bei der Simulation des menschlichen Denkens, wie es immer stärker und besser vollbracht wird, immer übersehen. Das erinnert nicht umsonst an Dicks "Do Androids dream of electric sheeps": Nahtoderfahrungen und Träume im Standby-Modus wären demnach weitere Voraussetzungen für KI.

Illusionen sind aufklärenden Geistern natürlich ein Dorn im Auge - ein irrationaler, möchte man meinen: Die Aufklärung will die Illusionen brechen. Die Menschheit aus ihren Illusionen wecken. Das Verflixte dabei ist nur, dass: Wer gegen etwas kämpfen will muss ein Experte darin werden. So ähnlich, wie Verschwörungstheoretiker selbst am paranoidesten sind. Oder Kritiker des Marx'schen Fetisch-Konzepts genau durch ihre Kritik einem Fetisch erliegen. Rötzer: "Aufklärung setzt gewissermaßen die Illusionstechnik voraus und verstärkt in ihrem Fortschreiten die Möglichkeit, Illusionen und damit auch Bedingungen der Manipulation schaffen zu können." Die Aufklärung hat in dieser Hinsicht mehr als versagt: Die Illusionen wurden mehr, und bedeutender, und mächtiger. Gerade auch wegen der Kritik. Der Weg führt einfach nicht von der Vormachung bzw. Vorspiegelung zur objrktiven, illusionsfreien Darstellung. Wir werden ja auch nicht besser, sondern mehr informiert. Was natürlich, je nach dem Auge des Betrachters, besser sein kann.

Apropos: "Illusion" und "Simulation" sind, man kann es nicht oft genug betonen, wie so vieles andere Begriffe, deren Bedeutung im jeweils aktuellen Kontext verstanden werden muss. Sie sind "verankert im Verständnis dessen, was Realität genannt wird, ein Begriff, der starke normative Züge besitzt und von Gesellschaften mitunter streng verwaltet wird".

Zurück zum Thema: "Das Gemeine an den nicht-trivialen Illusionen ist, dass sie für denjenigen, der ihnen verfällt, keine sind. Sie sind es nur für einen Beobachter, der nur eine andere Grenze zwischen Illusion und Wirklichkeit zieht. Schließlich ist auch dann, wenn etwas funktioniert oder viabel ist, noch keineswegs klar, ob man sich nicht Illusionen über die Art macht, wie etwas wirkt, oder selbst darüber, dass es wirkt. Wir schwimmen gewissermaßen in Bildern und Modellen, die wir uns von der Welt, von den anderen und von uns machen, innerhalb derer wir wie in einem Traum gefangen sind und an denen wir unser Handeln orientieren. Vielleicht ist die gefährlichste Illusion aber die Hoffnung, dass man einen Zustand der Illusionslosigkeit erreichen könnte."

Denn selbst, wenn man sich einbildet, in höchstem Maße aufgeklärt zu sein und die ganze Welt in all ihren Mechanismen dekonstruiert zu haben, können wir uns trotzdem nie ganz "vom Wunsch nach Wirklichkeit lösen, also platt vom Glauben, dass wir wirklich das sehen, hören oder berühren, was wir sehen, hören oder berühren. Vielleicht ist deswegen zur Zeit die Virtuelle Realität, so unvollkommen sie noch ist, schon als Idee ein derart aufregendes Faszinosum."

Wenn ich Rötzers Gedankensprung richtig mitmache, dann meint er, dass die technisch gestalteten Welt-Level auf Grund ihres Status als nicht wirklich physisch wirklich diesen Hype erfahren (haben). Die Digitalisierung des Erlebens und Fühlens führt sofort immer zur Interaktivierung, zur Einbindung des Theater-Zusehers oder Träumers in das Geschehen. Alles wird zur Bühne, zur unechten. Das Theater und der Traum sind zwei mehr oder weniger bewusste Illusionen, denen Menschen gewöhnlich verfallen und aus denen sie problemlos wieder auftauchen können. Damit sie im Anschluss einander ihre Erfahrungen erzählen können. Als bewusst inszenierte Illusion schafft das Theater für Rötzer die ideale Rahmenbedingung, um Grenzen und Brücken absichtlich zu stilisieren und damit Gesellschaft zu stabilisieren.

Realität ist vielleicht - "kontraintuitiv" - etwas Künstliches und nicht etwas Gegebenes. Aus dieser Sicht wird für Rötzer "deutlich, warum das Verlangen nach Realität, nach einem Durchbrechen durch Illusion und Simulation, gefährlich und destruktiv werden kann, weil dann REalität immer Ausschluss und auch Elimination bedeutet. Vermutlich ist ein nicht-destruktives Leben nur in einem klugen Umgang und einer spielerischen Akzeptanz der Illusion möglich."

Mit anderen Worten: Der Traum, das Träumen, das Ir-Reale sind integrale Bestandteile des MeEnschen und nur durch hohe Dosen Medikamente oder Alkohol oder Autosuggestion abzutöten. Die Illusion muss akzeptiert werden, und einbezogen.

Ein paar Jahrhunderte nach Descartes kann heute jeder zu guter Letzt "erahnen, was es heißt, als intelligente Lebewesen in einer Welt gefangen zu sein, deren Parameter sich von außen verstellen lassen." (Im Kino können wir das sogar sehen und nachvollziehen). Die Neuen Medien und damit die digitalisierte Kultur stehen demnach "in Kontinuität mit Aufbrüchen, Faszinationen und Problemlagen der Moderne". (Wenn diese Aufbrüche, Faszinationen und Problemlagen jedoch im Übermaß vorhanden und stilisiert und diskutiert werden, dann spricht man, soweit ich das richtig verstanden habe, von Postmoderne.)

Ende der Durchsage.

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