Des Bürgermeisters Begrüßungsfestivität am Vorabend hat Ortega bereits um halb eins verlassen: "Ich bin diszipliniert, schließlich bin ich für Samstag da, nicht für Partiys." Acht Stunden wird geruht. Offiziell steht keine Probe auf dem Programm (in der Suurhall sind die Nummern 13 bis 24 an der Reihe), daher wird im Laufe des Vormittags im Hotel für den großen Auftritt geübt; zum Glück bewohnt man eine Suite, die ist groß genug dafür. Hauptaugenmerk wird auf die Choreografie gelegt, nicht so sehr aufs Singen, vermutlich wegen der Suite-Nachbarn. Danach einige Gespräche mit deutschen Medienvertretern, im Anschluss daran ein Fotoshooting an diversen Open-Air-Locations in und um Tallinn, und zwar "für die Daheimgebliebenen" und den ORF. Am Nachmittag wird Entspannung groß geschrieben, am Abend geht's zum Empfang in die deutsche Botschaft.

menschen, auf die man hier trifft, lassen sich grob in fünf gruppen einteilen.

• künstler...ähm...showroom dummies. erkennbar durch jugendlich gutes aussehen, den drang zu posieren und die einbildung, charismatisch zu sein.
• produzenten, agenten und anderes öffentlichkeitsbetreuendes internationales zeugs. meist durch schleimig-arrogantes auftreten und gelbe pässe gekennzeichnet.
• (freiwillig) mitarbeitende esten. rosarote shirts oder dunkelblaue uniformen tragend und ziemlich unbeholfen zuvorkommend und zurückhaltend. die finden das wohl genauso seltsam wie ich.
• people from the press. sie sind überall und besitzen signalrote ausweise.
• fans. erkennbar durch exaltiertheit und den hang, männern mehr aufmerksamkeit zu schenken.

die grenzen dazwischen verschwimmen. ich habe schon posierende journalisten, schleimig-arrogante fans, zuvorkommende agenten, schwule dummies und signalrote ausweise besitzende esten getroffen. mhm.

bis jetzt habe ich mich noch nicht beim mitsummen oder gar -singen ertappt. mitgewippt habe ich, ich gebe es zu, beim belgischen beitrag. ein gewisser sergio, selbsternannter womanizer und angeblich hochgradig beliebter entertainer mit äuserlicher ähnlichkeit zu dj ötzi und stimmlicher zu tom jones, singt "sister". wäre ich vierzehn und hätte ich gerade die "commitments" gesehen täte mir der song nicht nur ganz, sondern wohl sehr gut gefallen. wohltuend.

in den kurzen pausen zwischen den proben und den pressekonferenzen spielt man jetzt die offizielle cd zum song contest 2002. grandiose idee.

der veranstaltungsort, die "saku suurhall": zum glück für die esten wurde sie im vorjahr fertiggestellt. sonst hätten sie keinen geeigneten ort für den contest gehabt. saku ist übrigens jene bierbrauerei, der wir journalisten die gratistrinkerei zu verdanken haben: werd' ich wohl noch brauchen.

türkischen popstars sind stolz auf ihre musicalausbildung und singen mangels interesse seitens der journalisten seit 10 minuten ein best-of-ausbildung. juhu.

"Man grummelt sich eher schweigend durch den Alltag." Ein Porträt von Jan Feddersen, taz.